Autor:
Mag. Johannes Keckeis
Planen Unternehmen Enterprise Systems-Projekte, dann geht es um weit mehr als nur um eine technische Lösung. Es geht vor allem auch um den richtigen Umgang mit dem Wandel innerhalb der Organisation und um die Erkenntnis, dass es Menschen sind, die den eigentlichen Wert eines Unternehmens ausmachen. Effektives Change Management ist daher ein entscheidender Erfolgsfaktor bei der Implementierung von Enterprise Systems.
Enterprise Systems unterstützen Unternehmen in einer digitalisierten Welt bei einer möglichst effizienten Abwicklung der Geschäftsprozesse. Somit gelten diese Systeme als das digitale Rückgrat der Unternehmen und bilden die Ablauf- und Aufbauorganisation in unterschiedlichen Ausprägungen ab. Die ungeschriebene Vision der meisten Unternehmen lautet schließlich: „Wir wollen im Wettbewerb hocherfolgreich und hochprofitabel bestehen“. Gerade bei Enterprise Systems-Projekten stehen Begriffe, wie „schneller“, „besser“, „effizienter“, „kundenindividueller“, etc. im Vordergrund. Dementsprechend haben in Auswahl- und Evaluierungsprojekten neben budgetären Themen vor allem Funktionalitäten sowie die Integration in andere Systeme hohe Bedeutung. Sowohl technisch als auch funktional sind moderne Enterprise Systems aufgrund stetiger Weiterentwicklung inzwischen entsprechend ausgereift. Sie können „nur“ Funktionalitäten und Prozesse liefern, nicht aber organisatorische Herausforderungen lösen. Enterprise Systems sind kein „Pflaster“ für organisatorische „Schmerzen“.
Menschen sorgen für Verbesserungen und Leistungssteigerungen
Wenn Unternehmen Enterprise Systems implementieren oder ein neues Enterprise Systems-Projekt planen, geht es im Kern also auch immer um den richtigen Umgang mit Wandel in Organisationen sowie um die Erkenntnis, dass Menschen letztlich den Wert für das Unternehmen ausmachen. Das bedeutet nicht, dass gutes Change Management Mitarbeiter glücklicher machen oder ihre Wünsche erfüllen sollte, denn bei Change Management geht es nicht um warme und wohlige Gefühle, sondern um die harte Realität: Es zählen Disziplin, Verantwortung, Bewertbarkeit, Fristen und Leistungen.
Scheitern Enterprise Systems-Implementierungen, ist der Grund selten ein technisches Problem. In der überwiegenden Mehrzahl sind diese Systeme ausgereift. Weil nicht die Software, sondern Menschen für den Erfolg des Implementierungsprojektes sorgen, ist nachhaltiges Change Management ein integraler und
entscheidender Erfolgsfaktor bei solchen Projekten.
Phasen der Veränderung
Veränderungsprozesse lassen sich grundsätzlich in drei Phasen unterteilen. Die erste Phase des Auftauens stellt die Notwendigkeit zur Veränderung dar. Zudem muss hier die Bereitschaft zu einem Wandel erzeugt werden.
Die zweite Phase „Ändern“ kann sehr vielfältig verlaufen. Oft unterteilt sie sich in sechs aufeinanderfolgende Bereiche, welche sich auch mit möglichen Aussagen untermauern lassen:
- Schock („Das kann nicht wahr sein…“)
- Ablehnung („Das stimmt nicht …“)
- Rationale Einsicht („Vielleicht doch …“)
- Lernen („Mal versuchen…“)
- Emotionale Akzeptanz („Es stimmt eigentlich…“.)
- Erkenntnis („Es geht ja tatsächlich…“)
- Integration („Es ist selbstverständlich…“)
In der dritten Phase des Wiedereinfrierens und Stabilisierens geht es schließlich darum, den neuen Zustand in der Organisation zu festigen und nachhaltig zu verankern.
Von der Wahrnehmung zur Reflexion – der Zyklus der Änderungsphase
Die Phase „Ändern“ hat es in sich, es macht daher Sinn, diese Phase und den Ablauf des Veränderungsprozesses oder des Wandels genauer zu betrachten:
- Wahrnehmung
In dieser ersten Phase werden primär Informationen gesammelt und noch eher absichtslos verarbeitet.
- Bewusstsein schaffen
In der zweiten Phase wird der gesammelte „Informationsbrei“ strukturiert, bewertet und mit Bedeutung versehen. Es entsteht ein Bewusstsein für die Handlungsfelder der Veränderung und es kristallisieren sich entsprechende „Figuren“ heraus. Solche „Figuren“ können Vision, Mission, Ziel, Problemdefinition oder auch ein Konkurrent sein. Je präziser und eindrucksvoller diese „Figur“ ist, umso größer und zielgerichteter ist die Motivation für die Veränderung sowie die Bereitschaft, Zeit, Geld und Aufmerksamkeit zu investieren.
- Veränderungsenergie erzeugen
Die Veränderungsenergie muss sich aus der Wahrnehmungsarbeit und der Bewusstheit ergeben. Dementsprechend müssen das relevante Personal sowie die nötigen Ressourcen bereitgestellt werden, um die notwendige Veränderungsenergie zu erzeugen. Häufig werden nach dem Prinzip „Zug und Druck“ aber bestehende Standpunkte durchgesetzt, was sich als „Beharrungskraft“ gegen die Veränderung zeigt. Somit wird der Veränderungswillen durch Zwänge, Anordnungen oder Sanktionsdrohungen zunichte gemacht. Folgende Maßnahmen können aber bei fehlendem Veränderungswillen als Lösungsvarianten dienen:
- Prüfen der gemeinsamen Figur
- Widerstand in Veränderungsprozessen ist normal und ist zudem eine gesunde Kraft. Wandeln Sie den Widerstand daher in positive Veränderungsenergie um.
- Aktionsphase
Die Mitarbeiter erkennen, dass es „jetzt ernst wird“. Es werden Pläne geschmiedet, Vorentscheidungen getroffen und Testläufe durchgeführt. Zudem formieren sich häufig Skeptiker und Befürworter und Emotionen werden frei. Die Frage, wie der Veränderungsprozess konkret durchgeführt werden soll, wird zumeist im Projekt im gesamten Unternehmen „heiß“ diskutiert. Häufig wird auch darüber diskutiert, wie lange es noch dauert, bis das Projekt abgebrochen werden soll. Diese Phase birgt eine besondere Gefahr: Oft wird die Aktion bereits mit der Veränderung verwechselt, da plötzlich alles “in Bewegung” erscheint. Der “Zyklus der Veränderung und des Lernens” lehrt jedoch: Es fehlen noch zwei entscheidende Schritte, nämlich die “Kontaktphase” und die “Reflektion”.
- Kontaktphase
Der Augenblick ist da, bei dem sich das Unternehmen das „Neue“ einverleibt. Viele Mitarbeiter sind gezwungen, Dinge zu tun, die sie so noch nie getan haben. Bisherige Grenzen werden verschoben, die Organisation „kaut und verdaut“. Erfahrung entsteht und eine kreative Anpassung der Organisation und Mitarbeiter an diese Änderungen ist gefragt. Typischerweise tritt in dieser Phase der meiste Widerstand im Veränderungsprozess auf. Er äußert sich in vielen verschiedenen Formen (Widerstand ist eine „verschlüsselte Botschaft“).
- Reflexions- und Rückzugsphase
Damit Veränderungen stabil und nachhaltig bleiben, müssen die Erfahrungen überdacht werden und entsprechend als Lernchance verstanden werden.
Es gibt einige Gefahren, die auftreten können, wenn der Veränderungsprozess ohne Reflexion und Rückzug durchgeführt wird, so etwa, dass Veränderungen einen „stillen Tod“ sterben und „halbverdaute“ Veränderungen die Organisation bei künftigen Veränderungen lähmen. Daher ist es notwendig, gelungene und gescheiterte Veränderungen zu reflektieren. Stellen Sie sich dabei beispielsweise folgende Fragen:
- Was hat sich nun wirklich gegenüber dem vorigen Zustand verändert? Woran merken wir das? Woran merken das die anderen (Kunden, Vorgesetzte, andere Abteilungen)? Gab es unerwartete Effekte?
- Was haben wir gewonnen, was verloren? Wie können wir das Verlorene vielleicht doch noch bewahren und das Erreichte langfristig sichern?
- Was haben wir über unsere eigene Fähigkeit, uns zu verändern gelernt? Was ist uns leichtgefallen, was besonders schwer?
- Was können wir bei der nächsten Veränderung besser machen? Was sollten wir künftig vermeiden?
Widmet man sich der Thematik des Widerstands näher, dann stellt sich zunächst die Frage, welche Formen von Widerstand es gibt.
- Scheinbare Zustimmung, ohne Engagement für die Umsetzung („Jaja, das machen wir schon.“)
- Schuldzuschreibung auf andere, ohne den eigenen Anteil an der Situation zu sehen („Die anderen sind schuld.“)
- Vermeidung des Konflikts („Am besten wir reden über etwas anderes…“)
- Herunterspielen oder Negieren eines Konflikts („Wir haben keine Probleme!“)
- Methoden werden diskutiert anstatt Inhalte
- Arbeitsanweisungen werden nicht beachtet
- Nebensächliches wird endlos besprochen
- „Ersatz-Projektion“ auf den Moderator oder den „Change Agent“
Widerstand positiv im Veränderungsprozess nutzen
Daher ist es von hoher Wichtigkeit, dass Beweggründe und Ursachen der Widerstände erkannt werden, noch bevor geeignete Maßnahmen entwickelt werden.
- Widerstand gegen Überforderung und unsinnige oder schädliche Veränderungen.
- Denn nicht jede Veränderung muss unbedingt eine Verbesserung sein.
- Widerstand schützt also vor vorschneller Vereinnahmung und dient der Überlebensfähigkeit des „Organismus“.
- Sie ist damit die Basis für die Weiterentwicklung und Erneuerung der Organisation.
- Widerstand ist Energie. Ein Veränderungsprozess ohne Widerstand ist gar nicht wünschenswert, denn der Widerstand zeigt zumindest Interesse oder Betroffenheit der Beteiligten. Widerstand kann auch konstruktiven Input und Ideen von MitarbeiterInnen bringen.
- Widerstand ist als Informationsquelle nutzbar.
- Sie gibt Auskunft über die wahren Bedürfnisse der Beteiligten.
- Es gilt aber zwischen Widerstand und berechtigtem Einwand zu unterscheiden. Als Grundregel gilt, dass berechtigte Einwände auf Argumenten basieren. Folgende Punkte können Ihnen dabei helfen, den Unterschied zu erkennen:
- Diskussionen verändern und entwickeln sich weiter, die vorgebrachten Argumente haben nach einiger Diskussionsdauer Bestand oder nicht.
- Wenn sich die „Bedenkenträger“ wirklich mit den Gegenargumenten auseinandersetzen (was nicht zwingend heißt, dass diese ohne Weiteres akzeptiert werden), handelt es sich nicht um Widerstand.
- Vorsicht vor „vorgeschobenen Argumenten“.
- Vorgeschobene Argumente nehmen mal diese, mal jene Gestalt an, je nachdem, wie es gerade in die Interessen passt.
- Themen, die eigentlich schon ausdiskutiert schienen, tauchen wiederholt auf, manchmal auch mit geringfügigen Veränderungen. Grundsatzdiskussionen werden ebenso wieder und wieder vom Zaun gebrochen.
Binden Sie die Unternehmensführung ein und stellen Sie Ressourcen frei
Dabei geht es nicht um Lippenbekenntnisse zum Erfolg der Initiative. Die Geschäftsleitung sollte so hinter dem Projekt stehen, als ginge es um eine Standortverlagerung oder um eine entscheidende Neuausrichtung des Unternehmens. Stellen Sie separate, dezidierte Ressourcen für das Change Management bereit. Zu viele Betriebe rekrutieren ihr Change-Management-Team aus den Mitarbeitern der technischen Implementierung. Sind Fristen knapp, konzentrieren sich einerseits die „Technikfreaks“ auf die Soft- und Hardwareabläufe und andererseits die „Prozessfreaks“ auf Abläufe und Prozesslogiken. Aber beide vernachlässigen den menschlichen Faktor. Stattdessen brauchen Sie jemanden, der sich fragt: „Okay, ich habe hier Dutzende von Mitarbeitern, wie muss ich die vorbereiten? Welche Art von Unterstützung benötigen sie?“
Rechnen Sie mit Widerstand gegen Veränderungen
Will ein Betrieb die Vorteile von Enterprise Systems voll ausschöpfen, läuft das auf profunde Veränderungen hinaus – und große Veränderungen bedeuten großen Widerstand. Widerstand zeigt sich eigentlich nicht in offener Rebellion, wohl aber passiv-aggressiv, indem neue Prozesse umgangen werden. Organisationen müssen möglicherweise sehr strikt agieren, um mit neuen Regeln neue Abläufe zu erzwingen. Gleichzeitig müssen sie aber dafür sorgen, dass jeder Benutzer die nötigen Werkzeuge hat, um seine Arbeit zu erledigen.
Richten sie die Ziele für Mitarbeiter an einer erfolgreichen Umsetzung aus. Erfolgreiche Enterprise Systems-Implementierungen und -Projekte müssen nicht nur den Zeit- und Budget-Rahmen einhalten. Erfolg sollte sich auch über den betrieblichen Nutzen einer Lösung definieren. Um sicherzustellen, dass Geschäftsziele sofort und auch in Zukunft erreicht werden, richten geschickte Betriebe die Zielvorgaben für Mitarbeiter am angepeilten Nutzen des Projektes aus. Dabei können zum Beispiel Boni für die Teilnahme an Schulungen und für die Aneignung bestimmter Fertigkeiten helfen. Die Beträge müssen nicht riesig sein und könnten zu einer permanenten Einrichtung werden.
In Enterprise Systems-Projekten ist nachhaltiges und profundes Change Management ein nicht zu unterschätzender Erfolgsfaktor. Deshalb sollten Sie diesen Prozess mit entsprechendem Methoden-Wissen und Fachkompetenz begleiten.
Dieser Fachartikel wurde im ERP Booklet 2020 (Seiten 22 – 27) veröffentlicht.
Dieser Fachartikel wurde im ERP Booklet 2020 veröffentlicht.
Titel: ERP Booklet 2020
Herausgeber: SIS Consulting GmbH, Innsbruck
Verlag: ADV Handelsgesellschaft m.b.H., Wien
Taschenbuch, Softcover, 148 x 210 mm
132 Seiten, Farbe
ISBN: 978-3-901198-29-8
www.erp-booklet.com